Crecoco

CREATIVE CONNECTION FOR COMMUNITIES e.V.

Musik, Kunst und Kultur für Kinder im Slum Kibera in Kenia

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Unsere Gründungsgeschichte

 

 

 
Von Monika Herold

Alles begann mit ...

...einem Schülerprojekt während der Pandemie. Corona hatte meine MusikschülerInnen und mich im April 2020 zum wenig gewinnbringenden Onlineunterricht gezwungen. Also mussten wir irgendetwas machen, das auch nur online geht und das daher keine nervtötende Notlösung mehr ist, sondern ein erfüllendes Projekt. Auf facebook war ich einer weltweiten Musikergruppe beigetreten und nun suchte ich mit Hilfe der internationalen Kollegen und einiger Freunde, die ich auf Reisen kennengelernt hatte, nach MusikschülerInnen, möglichst von jedem Kontinent, um einen gemeinsamen Song mit einer wichtigen Nachricht aufzunehmen: die Musik kennt keine Isolation, überwindet alle Grenzen und verbindet alle Menschen! "Let the music fly around the world" - Lasst die Musik um die Welt fliegen!
 
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Unter meinen facebook-Kontakten ist auch Mari Gikaru, ein Songwriter aus Nairobi, der ab und zu irgendwo in einem „Kibera“ Musikworkshops gibt und mir Henton, Daniel und Derrick schickt. „Ich arbeite total gern mit den Kids dort zusammen, sie sind sehr wissbegierig und haben eine gute Energie“, verrät er mir. Ich freue mich wahnsinnig, junge Menschen aus Kenia dabei zu haben. Sie rappen von ihrem festen Glauben, sich ein besseres Leben erarbeiten zu können. Hinter ihnen im Video sind klapprige Baracken zu sehen, Müllberge, kein Grün weit und breit, nur braun und grau. Von einigen Reisen nach Indien und Papua-Neuguinea kenne ich das Gefühl, das mich nun beschleicht: eine Mischung aus Wut, Scham und Dankbarkeit. Wut darüber, dass so ungleiche Bedingungen auf der Welt herrschen. Scham bei dem Gedanken, dass diese Kinder sich das Video anschauen und die großen, sauberen und voll ausgestatteten Zimmer der Anderen sehen werden. Und Dankbarkeit, weil ich es enorm wichtig finde, meine eigene Situation realistisch einzuschätzen - und was bei Betrachtung dieser Welt mit wirklich offenen Augen absolut real ist: ich bin REICH! Wenn wir hier, auf der Schokoladenseite der Welt, nicht einmal wissen und dankbar schätzen, wie viel wir haben und wie wenig wir uns sorgen müssen, dann gibt es eben doch immer noch kein Glück, kein „genug“ und damit keinerlei Grund, etwas abzugeben, umzuverteilen, zu bewegen, zu verändern. Was genau ein „Kibera“ ist - eine Art Haus, Heim oder Schule? Ein Stadtteil? - musste ich erst mal googeln.

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Sammy und die Kinder

Ehrenamt

Kibera ist also einer der größten Slums dieser Erde. Mari gibt mir die Handynummer des Betreuers der drei Jungs, Sammy Wandera. Er ist ein lustiger junger Mann, der das Schauspiel und die Comedy liebt, wie ich später herausfinde. Mit seiner Erlaubnis frage ich tabufrei drauf los und will alles über das Leben in Kibera wissen. Er fragt mich ebensoviel und so entstehen intensive Chat-Gespräche. Ich staune über seine Offenheit und darüber, dass mir seine Kultur in vielen Punkten doch sehr viel näher ist, als gedacht. Es dauert jedoch eine Weile, bis ich Sammys Betreuer-Status wirklich verstehe. Ich stelle mir vor, dass er Sozialarbeiter oder vielleicht sogar ein Vormund ist, weil die drei keine Eltern mehr haben? Bei meinen Recherchen habe ich erfahren, dass viele Kinder in Kibera AIDS-Waisen sind. Die drei aber zum Glück nicht. Sie leben mit ihren Familien zusammen. Nein er bekomme kein Geld dafür, es sei kein offizieller Job. Aber was genau macht denn dann dieser junge Typ, selbst erst Anfang 20 und mittellos, mit fremden Kindern und Jugendlichen und warum? Nach und nach verstehe ich, dass Sammy aus freien Stücken regelmäßig Zeit mit ihnen verbringt, um sie auf dem richtigen Weg zu halten, fern von dem viel zu einfachen Weg der Kriminalität. Er schickt mir Videos auf denen er mit den ganz Kleinen tanzt und singt. Es sieht ausgelassen und herzlich aus. Aber es geht insgeheim um's Überleben. Ich bin wahrlich gerührt und kann ein erstes Mal die Liebe und den unerschütterlichen Glauben der Menschen in Kibera spüren, die ich später noch öfter bei vielen Anderen von dort fühlen kann.

Mentorin

Sammy erzählt mir von seinen Bemühungen, den Slum zu verändern, davon wie er sich für Mädchen stark machen will, deren frühe Prostitution verhindern, ihnen andere Einkommenschancen bieten und die Männer zu Anstand aufrufen. Er erzählt mir seine eigene schwierige Lebensgeschichte, aus der er die Motivation für seinen Einsatz zieht – er tut das für seine Schwestern, seine Mutter, seine Familie. Aber er fühlt sich allein damit, er erzählt mir von den vielen Sackgassen und strukturellen Ausweglosigkeiten und fragt mich, ob ich für ihn und die Kids eine Mentorin sein kann. Sammy hätte auch nach Geld fragen können, er hätte jammern können und mein Mitleid erregen, meine Aufmerksamkeit und meinen Reichtum ausnutzen. Hat er aber nicht. Bei allem, was ich sehe und höre, aus den verschiedensten Quellen, wird mir klar: Sammy erzählt keine Märchen. Mentorin werde ich ohne einmal mit der Wimper zu zucken sofort sehr gern sein. Wir überlegen gemeinsam, wie man Wege bahnen kann, die die Grenzen des Slums durchbrechen und nach draußen führen. Ich verstehe, dass ich selbst draußen bin und deshalb vielleicht Brücken bauen kann. Wir sind uns einig, dass private Geldspenden nur Tropfen auf heiße Steine wären bzw. in Abhängigkeiten führen würden, die wir beide nicht wollen - und dass langfristig strukturelle Veränderungen her müssen. Und es ist klar, dass Sammy Anschluss an Andere braucht (den er später bei ETCO findet).

Inzwischen werden meine Freunde und Bekannte auch aufmerksam, fragen mich aus, erkundigen sich selbst. Einige sind sofort dabei und wollen selbst auch etwas tun. Als durch ein großes Feuer Sammys Bleibe und sein ohnehin weniges Hab und Gut vernichtet wird, schicken wir ihm etwas Geld für eine Matratze und das Nötigste nach Kibera, um sich neu einzurichten. In der Zeit, in der er nach einer neuen Unterkunft sucht, schläft er auf der Straße und erkältet sich. In Kibera können die Nächte kühl sein. In Weimar greift derweil ein – positives - Kibera-Fieber um sich! Es gibt hunderte Organisationen, die in Kibera die Dinge zum Positiven verändern. Also will ich für Sammy und die Jungs im Internet nach Anknüpfungspunkten suchen und schauen, ob für sie ein paar hilfreiche Kontakte entstehen können. Immer noch gibt es keinerlei Ambitionen, eine eigene Organisation zu gründen. Aber am Ende wird das dann doch auch noch notwendig.

Recherchen

Erfolglos

Ich schaue mir bestimmt zwei Wochen lang nonstop die Augen am Rechner viereckig, um Möglichkeiten zu recherchieren, Sammy und die Kinder über einen organisierten Weg zu unterstützen – innerhalb von vertrauenswürdigen, erprobten Strukturen. Ich rufe oder schreibe einige Organisationen an und will Patin werden, zumindest einem Kind den Schulbesuch finanzieren. Doch ohne Erfolg: die einen sind an anderen Orten der Welt präsent, die anderen reagieren nicht. Ich frage am Telefon eine Mitarbeiterin einer bestimmten Organisation, die angeblich in Kibera arbeitet, auf welchem Wege denn die Menschen zu deren hilfreichen Strukturen dort tatsächlich Zugang finden. Sie weicht mir verdächtig aus. Ich solle diese Frage per Email schreiben. Das tue ich, und bekomme auch hier nie eine Antwort. Ich habe bestimmt 20 Organisationen in meinen Lesezeichen. Immer wieder frage ich Sammy, ob er diese und jene kennt. Am allerhäufigsten kommt ein „nein“ und ich frage mich: wo sind die denn alle? Natürlich ist Kibera riesengroß, und viele der Organisationen auch recht klein, aber das hätte ich nicht erwartet.

Stoppt frühe Schwangerschaften!
Sammy rechts
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SHOFCO

Für Sammy ist zu diesem Zeitpunkt nur SHOFCO wirklich präsent. Dessen Gründer Kennedy Odede, selbst aus den schlimmsten Abgründen Kiberas stammend, hat mit seiner amerikanischen Frau das Buch "Find me unafraid" über sein Leben geschrieben, das ich mir besorge, lese, und einige Tränen vergieße. Gleichzeitig bin ich aufs Neue beeindruckt von so viel Willenskraft und Lebensmut. Es gibt überall solche und solche Menschen, aber Kibera hat wohl notgedrungen ein paar der stärksten und engagiertesten hervorgebracht. Zwei Dinge lerne ich aus dem Buch und Sammys Aussagen besonders. Erstens: wirkliche Veränderung braucht starke Wurzeln in der Gesellschaft selbst, um die es geht. Westliche Arroganz darf hier keinen Platz haben. Aber zweitens und andererseits: ohne die Hilfe seiner amerikanischen Frau hätte Odede es zwar schon verdammt weit gebracht und wahnsinnig viel bewegt, aber entscheidende Schritte wie z.B. der Bau der Krankenhäuser und Schulen waren dann doch v.a. durch Amerikanische Fördergelder und die Aufmerksamkeit westlicher Institutionen und Medien möglich geworden.

SHOFCO nützt "meinen" Kids zwar indirekt viel (Krankenhäuser etc.), aber leider nicht direkt etwas. Ich bin frustriert und überweise das Schulgeld für Henton, Daniel und Derrick für ein Trimester direkt an die Schulen einfach selbst, privat von dem Geld, das wir im Freundes- und Bekanntenkreis schnell zusammenlegen konnten. Aber wir wollen niemandem Hoffnungen machen, die wir auf Dauer nicht erfüllen können. Aus eigener Tasche kann ich nicht besonders viel machen und wenn meine Spende wegfällt, woher kommt sie dann, um den Kindern die Stabilität in ihrem Bildungsweg zu bieten, die sie brauchen? Das hier ist kein Spiel! Von Sammy weiß ich, dass viele „Westler“ erst großmütig kommen, sich mit ihrer Selbstlosigkeit brüsten und dann gleichgültig wieder gehen. So möchte ich nicht sein. Das frustriert die Menschen und schafft Misstrauen und bei manchen eine Mentalität, die Westler ordentlich auszunehmen, denn sie sind sowieso bald wieder weg. Sammy möchte so nicht sein. Wir überlegen gemeinsam weiter: es braucht größere, vereinte Kräfte, ein tragendes Netzwerk und v.a. wirkliche Kompetenzen. Erste Gedanken kommen auf, einen gangbaren Weg notfalls eben auch selbst zu erschaffen. Ich bin weder Millionärin noch habe ich ein Helfersyndrom, aber ich habe pro Woche vielleicht 2 Stunden Zeit für ideelle Dinge. Ich habe Freunde und Bekannte, die dabei sind. Und ich bin Musikerin und Musikpädagogin. In diesem Bereich bin ich kompetent und habe viel zu geben. Henton, Derrick und Daniel haben durch die Arbeit am Song ein klein wenig mehr Mut und Selbstvertrauen schöpfen können, sie konnten ihre Nachricht in die Welt schicken. Das ist besser als nichts. Das ist sogar ziemlich wichtig. Das konnte ich auch dank der Arbeit von KiCA für sie tun.

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Philip

Ein Tonstudio im Slum!

Zurück in die Zeit der Song-Aufnahmen. Ich frage Mari, wie Henton, Derrick und Daniel denn eigentlich mitten im Slum eine Aufnahme machen können – und wie ich an diese herankommen kann. Er gibt mir den facebook-Kontakt von einem gewissen Philip Oyoo, der in Kibera – hab ich das richtig verstanden – ein Tonstudio hat? Tatsächlich! Er hat den Rap der Jungs aufgenommen und gibt mir die Dateien. Ich erfahre mehr über den gemeinnützigen Verein dahinter, der mit Hilfe von Carmen Alvarez und einer Organisation aus Spanien das Studio bauen konnte – KiCA, Kibera Creative Arts. Philip ist einer der Gründer und derjenige, der sich mit der Musikproduktion auskennt. Auch mit Philip entsteht ein reger Austausch. Ich möchte mehr über ihn und die Organisation erfahren. Die Geschichten, die er mir erzählt, sind denen von Sammy sehr ähnlich. Aus der persönlichen negativen Erfahrung heraus hat Philips Bruder Geoffrey mit seinem Kumpel Simon, ihm und einigen anderen einst beschlossen, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen. Auch sie nutzen ihre Kompetenzen als Künstler, um etwas für alle zu bewegen, und arbeiten sich mit KiCA vorwärts. Aus eigener Kraft haben sie es bereits geschafft, der Welt zu zeigen, dass Kibera nicht nur Elend ist, sondern auch menschliche riesengroße Stärke, Talent, Kompetenz und Freundlichkeit. KiCA hebt den Kopf aus dem Slum heraus und streckt die Arme in Richtung Welt aus.

Deinen Lebenslauf bitte!

Als ich signalisiere, wie unterstützenswert ich KiCA finde, bittet Philip mich und meine Leute um eine Videokonferenz und verlangt von mir einen Lebenslauf oder zumindest eine Übersicht über meine Kompetenzen und Referenzen. Mir gefällt dieses Selbstbewusstsein. Es erspart mir die blöden Gefühle, die oft mit der ungleichen Chancenverteilung einherkommen und macht eine freudige Kommunikation auf Augenhöhe möglich. Ich gehe mit meinem besten Freund Kay, Musiker und Produzent, zum Online-Treffen. Philip erzählt von den Problemen der Organisation: „Wir wollen wachsen! Wir wollen uns selber tragen. Und wir träumen davon, eine Kulturschule zu haben.“ Er fragt nicht nach Geld, sondern nach dem Knowhow, wie sie ihre Selbsterhaltung und den strukturellen Aufbau der Schule erreichen können. Außerdem wollen sie lernen. „Könntet ihr euch vorstellen, uns Unterricht zu geben? In Musik und Musikproduktion? Wir wollen besser werden, aber wir machen alles nur autodidaktisch. Ich will wissen, wie es wirklich geht! Und hier sind viele junge Talente, die es auch wissen wollen.“ Ich versichere ihm ehrlich, dass „autodidaktisch“ nicht immer gleich „schlecht“ bedeuten muss, vor allem nicht in ihrem Fall.

Uns ist bewusst, dass es hier und jetzt einen „point of no return“ gibt. Wenn wir zusagen, ist das eine Bindung für viele Jahre. Alles andere würde keinen Sinn ergeben. Es kostet mich jedoch keine zwei Minuten, dieses „Ja“ in und aus mir heraus zu sprechen und diese Bindung einzugehen. Was das Knowhow zur finanziellen Selbsterhaltung von KiCA betrifft: ich bin weder eine Projektmanagerin noch besonders bewandert in Wirtschaft oder Entwicklungshilfe. Aber ich bin ja auch nicht alleine und mein Hinterkopf rattert seitdem Ideen durch, die ich mit Philip, der seinerseits auch nur so übersprudelt von Ideen, per WhatsApp austausche. Ich habe das Gefühl, hier an der richtigen Stelle zu sein und einen positiven Wirbelsturm mitdrehen zu dürfen, der mindestens die Seelen vieler Menschen auffrischt und empor hebt. Ein weiteres Mal bin ich außerdem tief beeindruckt von der Selbstlosigkeit, Liebe und Hingabe dieser Menschen, von ihrer positiven Haltung und unbändigen Energie. „Welcome to the KiCA family!“ rufen sie uns entgegen.
 

Ein Verein muss her!

Meine eingeplanten zwei Stunden pro Woche sind jedoch allein schon mit dem Unterricht bald längst übertroffen. Je mehr ich eintauche, umso mehr erfahre ich auch, dass an allen Ecken und Enden noch viel mehr Arbeit nötig ist. Wenn die talentierten jungen Erwachsenen, die ich jede Woche unterrichte, den Kindern ihr Knowhow in einer wirklichen regelmäßigen Schulstruktur weitergeben sollen, müssen sie dazu auch die finanziellen Mittel haben. Denn ohne andere Jobs haben sie schlichtweg nichts zu Beißen und können daher ehrenamtlich keinen regelmäßigen Unterricht anbieten. So gern KiCA sich selbst tragen will - das wird so schnell nicht zu schaffen sein. Und hier in der westlichen Welt haben viele Menschen mehr als sie wirklich brauchen. Warum also nicht doch mal etwas Geld umverteilen in der Welt, etwas Sinnvolles damit schaffen? Bei diesen Gedanken weiß ich, dass selbst mein kompletter Freundeskreis das nicht ohne offizielle Struktur ankurbeln kann. Wir wollen Spenden eintreiben, offizielle Spendenbescheinigungen ausstellen können. Dazu brauchen wir einen Verein. Noch ist Corona-Lockdown und wir wollen die unfreiwillig freie Zeit für die viele Arbeit nutzen, die die Gründung bedeutet. Gesagt, getan. Am 13. Februar 2021 verabschieden wir die offizielle Satzung und sind seit April im Vereinsregister beim Amtsgericht Weimar eingetragen und damit ein offizieller gemeinnütziger Verein.